Nachruf SAID
Am 15. Mai ist der deutsch-iranische Dichter SAID gestorben. Eine jahrzehntelange Freundschaft verband mich mit ihm. Ich hatte ihn bei Lesungen in Würzburg, Regensburg, Freising und München zu Gast. Lesen Sie meinen Nachruf…
Herr, lass mich Suchender sein und Gesuchter
Zum Tod des deutsch-iranischen Schriftstellers SAID
Von Erich Garhammer
„Sprache ist immer die Sprache der Durstenden, wenn sie keine Folklore sein will“, so schreibt SAID in seinen ost-westlichen Betrachtungen. Wer etwas vom Durst nach Leben erfahren möchte, muss SAID lesen.
SAID ist 1947 in Teheran geboren und lebte seit 1965 in München. Das „lebt in München“ hört sich fast zu harmlos an. Denn er trägt seine Heimat bei sich, sie ist ihm – wie es Heinrich Heine von seiner jüdischen Abstammung gesagt hat- sein portatives Vaterland. Mit Heimat verbindet er die Herkunftssprache und ihre Vorstellungswelt. Noch heute denkt er beim Wort Wasser weniger an einen rostfreien Wasserhahn mit Mischbatterie, aus dem man jederzeit wie selbstverständlich Wasser bekommen kann, als vielmehr an das Wort „ab“ (persisch für Wasser), das jene blaue Schale mit benennt, mit der man dem Fremden und dem Gast Wasser reichte. Und beim Wort „nan“ persisch für Brot assoziiert er nicht die diversifizierte Brotsorte einer deutschen Bäckerei, sondern das mit den anderen, den Armen geteilte Brot.
SAID hat für sein literarisches Schaffen viele Preise erhalten, u.a. den Adalbert-von-Chamisso-Preis, die Goethe-Medaille und den Friedrich-Rückert-Preis. Von Mai 2000 bis Mitte 2002 war er Präsident des deutschen PEN-Zentrums.
SAID wurde besonders bekannt mit seinen Psalmen. SAID spricht darin nicht als konfessionell Glaubender, aber er spricht Gott an, mit seinen Gefühlen, Regungen, seinen Brüchen. Er will diesen Gott schützen gegen alle Gottbesitzer, gegen die „Faktisten“, die positivistisch von Gott reden. Er will ihn aber auch schützen vor der eigenen Rechthaberei, die Gott klein macht, um sich groß zu machen: Ich suche Zuflucht bei dir vor meinen Wahrheiten.
Gott ist keine Funktion für besseres Leben, sondern eher wie ein Kiesel, den ich stets in der Tasche trage, zu nichts nutze und doch wärmt er sich an der eigenen Körpertemperatur. Er wird vertraut und bleibt doch ein Fremdkörper. Immer ist in den Psalmen von SAID die Angst zu spüren, durch die Anrede Gottes das eigene Ich auszulöschen: Herr schütze meine Freiheit. Immer wieder ist die Bitte zu hören barfüßig zu bleiben, auf die eigenen Schritte zu hören, die Fühlungnahme mit sich selber nicht preiszugeben.
Hier haben wir einen Beter vor uns, der nicht auf die Knie geht vor Gott, in die Knie schon gleich gar nicht. Einer, der in der Anrede Gottes den aufrechten Gang übt.
Ludwig Wittgenstein hat in seinen Tagebüchern festgehalten:
„Eine religiöse Frage ist nur entweder Lebensfrage oder sie ist leeres Geschwätz. Dieses Sprachspiel – könnte man sagen – wird nur mit Lebensfragen gespielt. Ganz ähnlich, wie das Wort ´Au-weh` keine Bedeutung hat – außer als Schmerzensschrei“. Ein Gebet, das nicht mit der existentiellen Bedürftigkeit des Beters zu tun hat, ist kein Gebet, sondern fromme Wortdiarrhoe. Insofern sind die Psalmen von SAID Gebete, sie haben mit dem Beter, in diesem Fall mit dem Schreiber zu tun. Sie sind Sehnsuchtssprache, Durstsprache. Hier trifft er sich mit dem Ton des Psalmisten: Wie der Hirsch Durst hat nach frischem Wasser, so habe ich Durst nach dir, Gott, so heißt es in Psalm 42.
Etwas von dieser Sehnsucht steckt auch in den Psalmen von SAID:
Herr
Laß mich beides sein
Bürger und wanderer
Suchender und gesuchter
Denn nur suchende sehen
Und nur gesuchte finden
Im Echter Verlag hat SAID 2018 seinen Jesustext „ich jesus von nazareth“ veröffentlicht, zu dem ich ein Nachwort geschrieben habe. Ich konnte auch dafür sorgen, dass ein Gedicht von SAID im neuen Gotteslob abgedruckt wurde. Darüber war er sehr glücklich.
Er war ein Brückenbauer zwischen Orient und Okzident. Als ich 2018 in den Iran reiste, trug er mir auf, am Grab des großen persischen Dichters Hafiz für ihn zu beten, dass er noch einmal seine Heimat besuchen könnte. Noch heute gilt Hafiz im Iran als einer der größten Dichter, seine Verse werden auswendig gelernt, sein Grab in Schiras wird massenhaft besucht – ganz im Gegensatz zum Mausoleum Khomeinis, das nur von den Staatstreuen aufgesucht wird. Man muss einmal an seinem Grab gewesen sein, um zu spüren: Hier suchen die Iraner ihre Identität, hier sehen sie einen Traum und eine Utopie verwirklicht: die Verbindung von Islam und geistiger Freiheit.
SAID erinnert sich, dass Hafiz im Elternhaus zugegen war, seit er sich erinnern kann: „sein diwan stand, in dickem, dunklem samt eingeschlagen, im wohnzimmer auf der wandnische. Sichtbar wie eine ikone, die tröstet … man wäscht seine hände, wie für das gebet; mit unreinen häden greift niemand zu hafis. Man führt seinen diwan an den Mund und küsst ihn ehrerbietig.“
Nun ist SAID im Alter von 73 Jahren in München gestorben.
Diesen Nachruf finden Sie auch als als PDF auf der Seite des Münsteraner Forums für Theologie und Kirche